Das Sinnfrageninterview

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Um 9 abends im Waschsalon

Es gibt so viele Fragen, die noch nicht gestellt wurden, man muss einfach nur drauf kommen. Behilflich ist uns dabei der Sinnfragenkombinator.

Eine zufällige Frage, sinnig oder unsinnig. Ein Gesprächspartner. Und fertig ist das Impro-Interview. Diesmal mit Peter B.

Die heutige

Sinnfrage lautet:

Ist ein Leben nach dem Tod spießig?

 

B: Spießig?

Ja, spießig.

Das kann man doch eigentlich nicht wissen. Ob das spießig ist, das Leben nach dem Tod.

Es ist im Grunde eine Frage der Vorstellung, oder?

Achso, Sie meinen, dass die Religionen, die vom Leben nach dem Tod träumen  spießig sind.

Nicht zwingend.

Naja, irgendwie doch zwingend. Wenn Sie an die etablierten Religionen denken, die monotheistischen zumindest, die sind irgendwie ja doch spießig. Da wird den Gläubigen ja nicht erzählt, dass im Paradies Anarchie herrscht und jeder mit jedem vögelt.

Wobei beim Islam ja immer dieses Bild der 50 Jungfrauen kolportiert wird, die dem Märtyrer zu Diensten sein werden.

Ja, und dieses Bild ist ja ein zutiefst spießiges Bild. Es ist ja nicht so, dass der Spießer ein Asket ist, der ist in seinen Träumen ja kein solcher Spießer, dass er denkt: Hoffentlich werden im Paradies jeden Mittwoch die Mülltonen geleert! Der wünscht sich ja, dass er wenigstens im Leben nach dem Tod die Sau rauslassen darf, wenn er es schon im Leben vor dem Tod nicht durfte.

Dann sind also die, die sich ein ganz unbürgerliches Leben nach dem Tod wünschen die eigentlichen Spießer.

Wenn man es ganz streng zu Ende denkt, ja. Andererseits kann man ja auch nicht erwarten, dass die, die zu Lebzeiten völlig unspießig und nonkonform waren, dass die sich ein kleinbürgerliches Leben nach dem Tod herbeisehnen, das wäre ja noch absurder.

Aber mal abgesehen von den Wünschen, wenn es denn ein Leben nach dem Tod gibt, wer weiß denn, ob es nicht wirklich spießig sein wird.

Das kann man nicht ausschließen klar, das hatten wir ja am Anfang schon, aber Ihre Frage führt eigentlich zu der Frage nach dem Wesen Gottes. Denn wenn es Gott gibt, und ein Leben nach dem Tod, dann gelten da natürlich die Regeln, die Gott vorgibt, das kann natürlich spießig sein, aber die Vorstellung, dass es in diesem Leben nach dem Tod so profan zugeht, dass man das mit dem Wort „spießig“ beschreiben könnte, diese Vorstellung ist ja eigentlich schon so irrsinnig, das könnte ja aus einem Film von Bunuel sein.

Auch keine schlechte Vorstellung.

Ja, dass es also ewig heißen wird: Iss deinen Teller leer, pass auf, was die Nachbarn über dich denken, zieh dich ordentlich an. Da wünscht man sich ja fast, dass nach dem Tod alles aus ist.

Fast.

Ja, fast, weil am Ende denkt man sich dann vielleicht doch: Lieber ein spießiges Leben als gar kein Leben. Irgendwie kann man vielleicht doch rebellieren.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Auszug aus: Das Gesetz des Werkzeugs

Fast immer wenn er einschlafen wollte, lullte er sich mit einer Phantasie ein, die er niemandem verraten durfte. Er stellte sich vor, er sei Hitler, der im Bett lag und so lange schlief, wie er wollte. Seine Leibdiener stand vor der Tür und immer wenn morgens nach ihm verlangt wurde, trat der Leibdiener nahe an den Bittsteller (alle waren Bittsteller) heran und flüsterte: Der Führer schläft! Diese Aussage war mächtiger und wirksamer als jedes Gesetz. Der Schlaf des Führers war heilig, unabänderlich. Ob Armeen eingekesselt wurden, ob der Feind an den Stränden der Normandie landete, ob ein wankender Verbündeter Rat und Aufmunterung suchte – immer war der Schlaf des Führers wichtiger. Es war nicht die Person Hitlers, die ihn faszinierte, es war schlichtweg die Position, die er verkörperte. Unantastbarer Schlaf. Das warme Bett des Tyrannen. Wieso, dachte er sich oft in seinen letzten Einschlafgedanken, war Hitler nicht einfach im Bett geblieben? Woher diese Energie? Wieso sich nicht einfach von der Welt verabschieden und unter der Decke bleiben und sagen: Keitel soll sich heute um die Ostfront kümmern, ich schlaf mich aus! Ehrgeiz war wahrscheinlich der Grund. Immer waren es die Falschen, die ausschliefen und die Falschen, die rastlos aus dem Bett stiegen. Immer setzten sich die Fleißigen durch. Die Faulen blieben unter sich, saßen herum, gründeten keine Religion, keine Unternehmen, erbauten keine Städte. Sie standen ab und zu auf um eine Frau zu schwängern, zu Pissen oder um einen Liter Milch zu kaufen. Es half nichts, es waren die Fleißigen, die Bomben bauten und es waren die Faulen, auf die Bomben fielen: Bumbumbum.

Gespräche mit Geistern – Klaus Kinski

Manche Menschen muss man einfach interviewen, auch wenn sie bereits tot sind.

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Herr Kinski, schön, Sie zu hören.

(leise) Ja, wieso denn?

Vor allem weil Sie tot sind.

Tot, ja?

Durchaus, oder?

Was wollen Sie jetzt hören?

Eigentlich müsste man die Frage nicht stellen, stimmt.

Ja, ahaaa! Eigentlich müsste man sie nicht stellen! Aber Sie stellen Sie, nicht wahr? Und was soll ich dazu jetzt sagen?

Sagen Sie doch einfach: Ich bin tot.

Wie das schon klingt!

Nicht gerade erbaulich.

Das ist doch jetzt auch gar nicht das Thema. Bin ich tot ? Bin ich nicht tot ? Sind Sie tot? Sind Sie nicht tot ? Sind wir beide tot ? Ist Jesus tot ? Ist die Revolution tot ? Trinkt Trotzki Schnaps mit Marilyn Monroe?

Eine amüsante Vorstellung.

Finden Sie witzig?

Nicht unbedingt zum totlachen, aber amüsant.

Sagense das nochmal!

Nicht unbedingt zum totlachen, aber amüsant.

Das haben Sie doch extra gesagt, um mich zu beleidigen. Nicht zum totlachen! Weil ich tot bin, ja?

Nein, das war eher eine Redewendung.

(streng) Da müssen Sie aber sehr gut aufpassen hier, die Leute hier sind empfindlich bei solchen Sachen. Da kriegen Sie ganz schnell einen Riesenärger, wenn Sie hier solche Sachen bringen, das kann ich Ihnen aber sagen.

Sie meinen, die Menschen im Jenseits, hören ungern, dass sie tot sind?

Jetzt fängt er wieder an. Habe grade gesagt: Sie müssen vorsichtig sein, verdammte Scheiße, wenn Sie solche Sachen hier in den Äther blasen. Aber das ist Ihnen einfach egal, oder, oder sind Sie zu dumm, oder zu blöd. So blöd kann ja eigentlich keiner sein. Dass er das nicht begreift, dass er da gefälligst ganz, ganz zart und leise zu sein hat und nicht sein Maul aufreißt und sagt: Ihr Idioten seid alle tot!

Entschuldigen Sie, war nicht meine Absicht.

Nicht ihre Absicht ! Ja, was war denn dann Ihre Absicht ? Wenn Sie sagen: Herr Kinski, Sie sind doch tot, oder? Dann war es nicht Ihre Absicht, es mir unters Maul zu reiben, dass ich nicht mehr auf der Welt rumrenne? Im Gegensatz zu Ihnen, leider.

Vielleicht fangen wir nochmal an.

Nochmal!

Wie geht es Ihnen?

Bin ruhiger geworden.

Ja?

Oh ja. Weil nicht mehr so viele Idioten um mich sind. Die sind hier nicht, die sind alle ganz woanders, das ist schön (fröhlich).

Denken Sie, Werner Herzog wird auch mal zu Ihnen kommen?

Wieso Herzog?

Er war der Regisseur Ihrer erfolgreichsten Filme, Ihr liebster Feind.

Ja, ich weiß, wer Herzog ist, das müssen Sie mir nicht erklären! Aber den kenn ich doch gar nicht richtig. Und was heißt: Liebster Feind! Was ist das für eine idiotische Anmaßung. Als ob ich tausende und abertausende Feinde gehabt hätte und gerade er, als Anfänger, als Schnösel, gerade der soll mein liebster Feind gewesen sein! Den habe ich gesiezt, diesen Herren! Und seine Frau auch. Die wollte ihn vor mir beschützen, bei den Dreharbeiten zu Fitzcarraldo. Da habe ich zu ihr gesagt: Sie haben hier keine Funktion, meine Liebe! So wie ich mit Ihrem Mann rede, so redet man im Theater jeden Tag miteinander, so habe ich auch mit Brecht geredet und der war froh über meine Ideen.

Herzog sagte, dass Sie mit ihm zusammen Ihre Autobiographie geschrieben habe. Dass Sie mit ihm unter einem Baum saßen und in einem Lexikon geblättert hätten. Auf der Suche nach Kraftausdrücken, mit denen Sie die Leser bedienen wollten.

Dumme Sau.

Bitte?

Die Dumme Sau! Als ob ich mit diesem Wicht auf einem Baum sitze und in einem Lexikon Kraftausdrücke suche. Was ist denn das für eine hirnrissige Idee! Gehen Sie mal, holen Sie mal ein Lexikon und suchen Sie nach Kraftausdrücken, am besten mit Werner Herzog! Der kommt hier sicher nicht rein. Der war ein Sadist. Eine Null und ein Groupie!

Werner Herzog war ein Groupie von Ihnen?

Aber natürlich! Hatte viele männliche Groupies, die waren doch ganz geil auf mich. Und Herzog war auch so einer, und auch viele männliche Interviewer. Deswegen hab ich irgendwann gesagt: Schickt mir nur noch Frauen zum Interview, dann muss ich wenigstens kein Dings tragen..kein…Dings…

Kein Toupet?

Nein, Idiot! Kein..das, was man sich da vorne sich hinsteckt! Kein Suspensorium, meinte ich.

Vielleicht haben diese Männer, wie Herzog, gespürt, dass Sie Liebe brauchen.

Wer?

Sie.

Ich, dass ich Liebe brauche?

Das war ja auch der Titel Ihrer Autobiographie.

Das weiß ich doch, unterbrechen Sie mich nicht immer. Ja, ich brauche Liebe, immer noch, aber nicht von irgendwelchen halbschwulen Typen! Deswegen bin ich nie zu Fassbinder, der hätte mich doch nur fürs Bett gewollt. In so einem dünnen, durchsichtigen, ganz, ganz weichen und weißen Nachthemd. Und dann wäre er, wie so ein Vampir durchs Zimmer und hätte mich betatscht. Da hab ich mich immer ferngehalten. Mich wollte der eine, der Berling (* Peter Berling, Filmproduzent) ja unbedingt für Fassbinder haben, dass ich mit dem drehe. Ich sollte bei, bei…Baal den Baal spielen. Aber der hatte auch kein Geld, nur für sich selbst höchstens. Und den anderen Idioten hat er dann seine zusammengeschissenen Filme als große, neues Deutsches Kino verkauft. Beim Tennis wollte mich Berling becirpsen: Komm zu Fassbinder, der macht was ganz Neues aus dir, hör doch mit diesen Drecksfilmen auf !

Berling meinte in einem Interview, Sie wären ein miserabler Tennisspieler gewesen.

Wie?

Ja, schlimmer noch als er selbst.

(wird lauter) Jetzt geht’s aber los! Schauen Sie Berling mal an und Fassbinder! Die würden doch nicht mal als Balljunge auf den Tennisplatz kommen. Ich hab hervorragend Tennis gespielt!

Lassen wir das mal so stehen.

Wieso lassen wir das stehen? Das lassen wir nicht stehen. Ich habe gegen Berling und Fassbinder Tennis gespielt und war ein großartiger Tennisspieler, ich hätte Profi werden können. Der Adorf hat mir seine Tennislehrerin geliehen. Einen Tag lang!

Nur einen Tag?

(halblaut) War keine schöne Frau. Hab zwar mal gesagt, dass alle Frauen schön sind, aber da war ich gerade sehr auf Harmonie aus, so was brauche ich.

Die Tennislehrerin von Mario Adorf war keine schöne Frau?

Wieso wiederholen Sie das immer so stupide? Das weiß doch der Leser, was ich sage. Auch wenn sie nicht, wie so ein kleines Äffchen alles nachplappern.

Pardon.

Ich habe bei Interviews immer gefragt: Ist es eine schöne Frau, die mich interviewt? Hätte ich Adorf wegen der Tennislehrerin auch fragen sollen, aber der war ein Snob. Unerträglich. Grässlich. Immer auf fein gemacht. Dann war ich mal essen, mit Adorf, Berling und dem einen Wiener, der immer so säuft…der Dings…

Helmut Berger?

Nein, mit dem wäre ich nie in ein Restaurant, der war völlig verrückt.

Lustig, dass Sie das sagen.

Wie, dass ich das sage?

Sie waren doch selbst ein Enfant Terrible.

Aber doch nicht so! Ich hab doch keinem untern Tisch gepisst! Das hat der Berger sehr wohl! Und im Film hat er sich dann immer wie eine stilvolle männliche Nutte aufgeführt. Dabei brauchte man bei dem ein Ding…

Ein Suspensorium.

Allerdings!

Was war jetzt bei Ihrem Abendessen mit Adorf, Berling und…

Weiß nicht mehr wer noch dabei war. Auf jeden Fall wollte mich Adorf vergiften. Weil er neidisch war.

Auf Ihr Tennisspiel?

Sehr witzig! Auf mein Genie als Schauspieler war er neidisch. Der Adorf war doch eine ganz, ganz kleine Nummer. Der sollte ja eigentlich den Fitzcarraldo spielen, bei Herzog. Die beiden hätten gut zusammengepasst. Aber so dumm war nicht mal Herzog, dass er nicht erkannt hat, dass Adorf eine totale Fehlbesetzung war. Dem fehlte das Feine, das Zarte! Und das hat er gespürt, der Hanswurst! Ich sitze also mit Adorf und Berling am Tisch und ein Kellner kommt mit irgendwelchem Fraß an und Adorf sagt zuckersüß: Bedienen Sie doch den Herrn Kinski zuerst.

Und dann?

Und dann bin ich aufgestanden und hab ihm die Meinung gesagt, dass ich mich von einem Schmierenkomödianten und einem Fassbinderzuhälter nicht vergiften lasse! Dass er seine Scheiße selbst fressen soll und dran verrecken soll und dann bin ich raus gerannt und eine Stunde am Tiber entlanggelaufen und hab mir die Seele aus dem Leib geschrien und geweint.

Aber Adorf können Sie doch nicht als Schmierenkomödianten abtun. Er hat Karriere gemacht, ist der beliebteste Schauspieler Deutschlands.

(erbost) Das bin immer noch ich. Oder meinen Sie, in 100 Jahren wird sich irgendeine dumme Sau ein Interview von Adorf anschauen und denken: Der war geil.? Nein, eben nicht! Und von den anderen, die heute Schauspieler sind, erst recht nicht. Weil keiner sich traut das Maul aufzumachen, weil sie alle wie kleine Konfirmanden ärschlings vor den Produzenten kriechen und weil ihnen ihre PR-Zuhälter die Antworten im Interview diktieren. Das hab ich nie gebraucht, nie! Ich habe gefickt, gestritten, gekokst, gespielt. Da gabs keine Grenze. Ich musste ja lachen, nein weinen, wegen so viel Scheiße. Als dieser eine der jetzt gerade bei Euch mit seinem Paukerfilm so beliebt ist, der Roy Black, als der sich mit dem nuschelnden Tatort-Idioten geprügelt hat.

Roy Black ist schon lange tot, er starb kurz vor Ihnen.

Is gar nicht wahr! Idiot! Ich hab ihn doch gesehen. Kriegt so eine halbe Ohrfeige in die Visage und was macht er, wie reagiert er?

Sie meinen Elyas M´ Barek!

Egal, was hat der gemacht? Er hat gesagt: Ich habe nicht zurückgeschlagen, weil der Dings…weil der Vater ist und weil das nicht mein Niveau ist. Das hätte der mal bei mir machen sollen, dem hätt ich aber eins in die Fresse gegeben. Von mir aus hätte der der Vater von einem Hurenhaus sein können, dem hätt ich die Fresse poliert und ihm die Nase abgebissen. Das hätt er sich bei mir nich getraut! Aber heute muss bei euch ja alles ganz, ganz brav und lieb sein und ganz beherrscht. Ich hätte da eine Peitsche genommen und sie dem Typ in die Fresse geschlagen, das hätt ich getan!

Schade, dass Sie tot sind.

(leise) Find ich auch.

Jubiläumsausgabe: Mein Interview mit Bazon Brock – „Auf jede Attraktivität muss das Kotzen erfolgen.“

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Berlin. Ein Telefoninterview mit Bazon Brock, Ästhetikprofessor, Kunsttheoretiker, Künstler und enfant terrible der deutschen Kunstszene. Es klingelt. Es wird abgehoben. Die Assistentin Brocks. Sie ruft ihn. Eine etwas genervte männliche Stimme meldet sich. Bazon Brock am Apparat. So hören sich ungeduldige Professoren an, wenn jemand kurz vor der Kaffeepause an der Tür klopft und keinen Kaffee serviert. Doch dann legt er los. Und wie.

Herr Brock, was gab es Heute zum Frühstück?

Bazon Brock: Ah, nee, solche blöden Fragen, das hat keinen Sinn.

Doch, das ist der Anfang des Interviews.

Dann gab es Müsli und Orangensaft.

Sind Sie immer so streng?

(überlegt) Ja, Selbstdisziplinierung ist die Basis dafür das eigene Leben aufzurichten und zu erhalten, weil man ja an jeder Ecke und jede Sekunde von Tausenden attraktiven Eindrücken dazu verleitet werden könnte, sich diesen hinzugeben. Dann löst man sich innerhalb ganz kurzer Zeit auf. Man muss sich also selbst gegenüber in diesem Sinne streng sein. Deswegen trainieren wir, uns von Attraktionen zu lösen, statt sich denen hinzugeben. Es ist kein Kunststück einen nackten Hintern zu zeigen. Alle gucken hin, aber sich davon abzuwenden, das ist eigentlich die zivilisatorische Förderung.

Seit wann beherrschen Sie diese zivilisatorische Disziplin?

Das haben wir schon seit vierzig Jahren mit allen Leuten in Museen trainiert. Das limbische Regulativ im Zwischenhirn ist ja dafür da, dass, wenn man unheimlich gern Schokolade frisst, man nach einer Tafel kotzt. Das war jedenfalls noch vor sechzig Jahren so. Heute kotzen die Leute erst nach drei Tafeln. Immer gibt es einen Reflex. Auf jede Attraktivität muss das Kotzen erfolgen. Wenn es nicht erfolgt, stirbt der Organismus. Das wurde auch bei einem Experiment mit Ratten erprobt: Da wurde den Ratten eine Taste mit Verbindung zum Limbischen Regulativ angeboten zu drücken.

 

 

Die feuerten ununterbrochen und die sind dann alle elend verdurstet, weil sie nur noch am Selbstbefriedigungsapparat hingen und nicht an dem mit Wasser. Die Ablösung ist das Entscheidende, nicht die Hinwendung.

Wenn Sie ein schönes Hinterteil sehen, wenden Sie sich also ab.

Ja, wenn ich sofort drauflos ginge, gäbe es Komplikationen aller Art.

Nicht zwingend.

Doch zwingend.

Die Großtaten der Menschheit sind die, die unterlassen wurden.“

Wieso?

Weil die Menschen darauf trainiert sind, aus solchen Situationen ihren Vorteil zu schlagen. Das machen Hunderttausende von Anwälten, die in der ganzen Welt herumlaufen und Delikte erzeugen wollen. Die sagen ihren Frauen: Zeig dich so, dass jeder Mann sofort auf dich springt und wenn er das tut, verklagen wir ihn und es gibt 80.000 Euro Schadensersatz. Deswegen wende ich mich ab. Die Großtaten der Menschheit sind die, die unterlassen wurden.

Was war Ihre letzte unterlassene Großtat?

Lustvolles Fressen am Abend.

Stattdessen lustloses Fressen am Abend?

Stattdessen diszipliniert das zu essen, was mir vorgeschrieben ist.

Sie haben mal gesagt: „Der Tod muss abgeschafft werden, diese verdammte Schweinerei muss aufhören, wer ein Wort des Trostes spricht, ist ein Verräter.“

Das bezieht sich auf die Feststellung der Götter in Weiß, die, wenn man sie für ihre Taten verantwortlich machen will, das Schicksal bemühen. Die Ärzte kassieren großartig für ihre Heilerfolge. Sobald es aber um das Gegenteil geht, heißt es, dass der Patient schicksalhaft auf dem Tisch geblieben ist. Gegen diese Schicksalsgläubigkeit richtet sich das Zitat.

 

Warum ist der, der ein Wort des Trostes spricht, ein Verräter?

Weil man die Humanisten als eine Klasse von Menschen zitiert, die die Wahrheit in vollem Maße anerkennen und auch die grausamsten Wahrheiten akzeptieren und von da aus die Kritik der Wahrheit starten. Menschen, die sich der Wahrheit unterwerfen sind Verräter am Menschheitsprojekt. Der Stärkste setzt sich durch. Wer das Geld hat bestimmt. Das sind alles Wahrheiten, die tatsächlich der Fall sind, aber die kann man nicht akzeptieren.

Haben Sie Angst vor dem Tod?

Nein.

Wieso nicht?

Man kann nur Angst vor dem Sterben haben, nicht vor dem Tod, denn wenn man tot ist, kriegt man nichts mehr mit.

Das sagt man so.

Wenn man täglich davor Angst haben würde, würde man irre werden. Dann wäre man ein Psychopath.

Man könnte ja auch täglich irre werden.

Das trifft auf mich nicht zu, das habe ich mir verboten.

Erfolgreich verboten?

Ja.

Angst vor dem Leben?

Erst recht nicht.

Wieso?

Na, weil ich es gemeistert habe, schon von Kindesbeinen an!

Sie haben auch gesagt: „Man muss sich alleine durchkämpfen, sonst kommt man zu nichts.“ Prägt einen das lebenslang?

Solche frühen Prägungen sind nie aufhebbar. Man kann sie vielleicht abdämpfen, aber die Erfahrungen, die man in der Zeit der großen Prägung macht, die wird man nie wieder los.

Sind Sie schon einmal gescheitert?

Wie soll man das jetzt sagen. Ich bin gescheitert in der Wahrnehmung der vielen Chancen, die sich mir im Lauf des Lebens geboten haben. Weil ich zu arrogant war und dachte, ich würde mir alles selbst verdanken. Ich will anderen Leuten nichts verdanken. Das war natürlich eine Parole aus der Überlebenszeit nach dem Krieg. Weil man sich alles selbst verdanken wollte, hat man die Chancen verpasst, die sich sonst boten.

Sie waren undankbar.

Nein, man hat sich das verboten. Wenn man nur überlebt, wenn man sich selbst verantwortlich ist, dann behält man das bei und damit verpasst man auch die Chancen, die andere bieten.

 

Jemand mit meinem Format hätte in der Politik sicherlich unendlich mehr bewirkt.“

Welche Chance zum Beispiel?

Einen sinnvollen Beruf auszuüben. Im Sinne der Effektivität, des Wirkens. Man muss ja nicht unbedingt Ästhetikprofessor werden. Es gibt sicher Wirkungsvolleres.

Was denn?

Politiker natürlich! Jemand mit meinem Format hätte in der Politik sicherlich unendlich mehr bewirkt.

Bis zu welchem Amt hätte es wohl gereicht? Minister oder nur Staatssekretär? Vielleicht Kanzler?

Das glaube ich schon, dass es dazu gereicht hätte. Gysi ist ja ein bekannter Fall. Er war ja als Rechtsanwalt ziemlich mies, aber als Politiker hat er ungeheure Wirkung.

Könnten Sie denn ein Bierzelt politisch begeistern?

Das habe ich schon versucht, das ging alles sehr gut.

Sie wären ein Populist.

Das nicht.

Ein Volkstribun.

Nein, nein, das ist ja nur eine ideologische Verklemmtheit von Leuten, die sich gegen die Überzeugung anderer wehren wollen. Wer sagt, dass ein anderer ein Populist ist, ist selbst einer.

Dann gibt es den klassischen Populisten also gar nicht.

Kein Populist ist nur der, der wusste, dass er jederzeit einer sein könnte.

Bei welcher Partei wären Sie?

Ich habe mich jetzt lange um die Liberalen bemüht, musste aber einsehen, dass die Partei mit Liberalismus nicht mehr viel zu tun hat. Mir bleibt nur Die Linke oder die Alternative für Deutschland.

Und die Grünen?

Nein, nein, das ist ja nun der ausgemachteste Bürgerschwindel, den man je erlebt hat. Wer Windräder in die Landschaft stellt und sagt, das sei ein Beitrag zur ökologischen Wende, der hat ja nicht alle Tassen im Schrank! Nach dem Motto „Wir retten die Landschaft, indem wir sie zerstören“. Das ist grüne Logik. Das kommt für mich nicht infrage.

Was müsste passieren, damit Sie ihr Bundesverdienstkreuz zurückgeben?

Das wäre vielleicht dann der Fall, wenn die Bundesregierung und der Bundespräsident sich nicht im NSA-Problemkreis behaupten, sondern klein beigeben, den Schwanz einziehen und anerkennen müssten, dass es den Rechtsstaat überhaupt nicht mehr gibt. Wenn sie das behaupten würden, dass es den Rechtsstaat faktisch nicht mehr gibt, dass wir außerhalb dieser schönen, alten westlichen Idee leben und das auch noch fröhlich weitermachen, dann würde ich es zurückgeben. Aber die kleben ja auch an ihrer Karriere und ihrem Einkommen. Einsicht ist da nicht zu erwarten.

 

Politikern gestehen Sie relativ wenig intellektuelle Tiefe zu, oder?

Ja, das liegt an der Karrierevorschrift in den Parteien: Nur der kleinste gemeinsame Nenner hat eine Chance, von den Parteifunktionären akzeptiert zu werden. Man muss die eigene Dummheit zum Maßstab der Beurteilung der Bevölkerung machen. Das ist wie bei Hauptabteilungsleitern im Rundfunk, die sagen, dass das Volk dies oder das nicht will, die Einschaltquoten sind dagegen. In Wahrheit ist es eine Rechtfertigung für die eigene Bequemlichkeit, Dummheit und Beschränktheit der Funktionäre.

Aber wie hätten Sie in so einem Politbetrieb denn Karriere machen können?

Indem ich mein Publikum als etwas nicht dummes, etwas nicht blödes, etwas nicht beschränktes, nicht unter Niveau anspreche, das habe ich immer so gemacht. Man darf das Publikum nicht unterschätzen, wenn man das macht, ist man selbst ein Idiot. Und bei Politikern ist das Ausdruck ihrer eigenen Blödheit.

Freuen Sie sich manchmal, dass sie vielfach intelligenter sind als die Meisten?

Nein, das ist eine schicksalhafte Begebenheit. Das ist ja ein Nachteil, wieso soll ich mich über einen Nachteil freuen?

Das ist doch kein Nachteil.

Doch, das ist ein großer Nachteil! Man wird sofort, in jeder Hinsicht ausgegrenzt.

Wäre dumm zu sein dann ein Glück?

Natürlich kein Glück. Dummheit ist eine Immunreaktion des erkrankten kognitiven Systems. So ist es ja auch beim Volk, man will etwas nicht wissen, also geht es einen auch nichts an. Man kann aber eigentlich mit jedermann auf vernünftige Weise reden.

Man muss es nur runterbrechen.

Mich braucht man nicht „runterbrechen“, nur ernst nehmen! Das Verstehen hängt nicht davon ab, dass man nur Alltagswörter benutzt. Auch im Alltag verstehen sich die Leute nicht, bekanntlich sind Ehepaare der Arbeiterschicht genauso gestresst wie Akademiker. Die müssten sich ja nach Ihrer Theorie sehr gut verstehen, tun sie aber nicht.

Scheitern Ehen nicht eher am Emotionalen als am Intellektuellen?

Ne, ne, das Intellektuelle ist das Entscheidende!

Ja?

Nur dadurch gibt es eine interessante Emotion! Intellektualität stimuliert die Emotion! Moment, mein Partner will gerade gehen hier. Sagen Sie mal schnell noch Ihre letzte Frage!

Meine letzte Frage?

Ja!

Wir haben jetzt gerade mal zehn Minuten geredet.

Ja, aber was soll das werden, was soll das sein können?

Ein Interview.

Ja, aber was soll’s, wohin führt das?

Irgendwann zum Ende.

Ja und was soll das sein? Also den zweiten Teil der Fragen wird meine Assistentin beantworten. Die kennt mich genauso gut und wenn Sie auch nur einen kleinen Teil meiner Texte gelesen hätten, könnten Sie es sich auch selbst beantworten!

 

Kitsch ist die Offenbarung der nackten Wahrheit.“

Ich will das Interview aber mit Ihnen machen und nicht mit Ihrer Assistentin.

Aber das ist doch doof, wenn man etwas gesagt hat, etwas geschrieben hat, etwas veröffentlicht hat, dann können die Leser doch damit besser umgehen als die Autoren selbst!

Dann wäre es wohl am besten, Sie sagen mir, was ich Sie fragen soll.

So ist es, das wäre das Richtige.

Dann könnten Sie sich eigentlich selbst interviewen.

Das haben wir schon oft getan.

Machen wir es so: Ich rassel meine restlichen Fragen runter und Sie sagen einfach Scheißfrage, oder Sie antworten.

Na gut, machen se mal.

Haben Sie Bilder von sich selbst daheim hängen?

Ja, sie hängen aber nicht, sie stehen. Zwei Fotos auf dem Bücherregal und irgendwo liegen ausgedruckte Bilder im Hinblick darauf, dass ich mit dem Hund dort zu sehen bin oder in irgendeiner Situation, in der sich irgendetwas ergeben hat.

Liegen Sie manchmal im Bett und denken sich: Wozu noch aufstehen?

Niemals!

Wie ist Ihre Fernsehkanalbellegung?

Ganz einfach: es fängt an mit Arte, 3Sat, Phoenix, BayernAlpha, ZDF, ARD, dann History-Channel, NH5 in Japan, so ist die Hierarchie.

Mögen Sie Kitsch?

Selbstverständlich, weil es die Offenbarung der nackten Wahrheit ist.

Was ist der Terror der Wahrheit?

Wenn Sie die Wahrheit so aussprechen, dass sie ohne jede Angemessenheit der Formulierung und Darstellung operieren, daraus entsteht Kitsch. Wenn sie den Eiffelturm aus Paris mitnehmen und sagen, dass das die Erinnerung an Paris ist, dann ist das Kitsch, aber auch die Wahrheit, aber eben unanständig prätentionslos und ohne Anspruch auf Formulierung.

Welches Unikat würden Sie gern vernichten?

Keines.

Weil?

Weil es im Wesen der humanistischen Tradition liegt nur zu unterlassen statt zu zerstören.

Wann waren Sie zuletzt gnädig?

Als wieder mal ein Mitarbeiter kapitale Fehler gemacht hat.

Wann zuletzt ungnädig?

Gestern.

Was war los?

War ungeduldig mit der langsamen Reaktion von Mitmenschen, wenn man zweimal dasselbe sagen muss und dann tun sie es immer noch nicht.

Was war Ihre letzte Illegalität?

Parken auf einem Parkplatz auf dem Parkverbot steht.

Ich bin der Versuch, sich den Ernstfall vom Halse zu halten.“

Was würden Sie gerne verbrechen?

Das kann ich nicht sagen. Ich stelle es mir zwar vor und es wird dann in der Vorstellung auch erledigt, aber es faktisch auszuführen kommt gar nicht in Frage.

Angst vor dem Gefängnis?

Nee.

Sind Sie ein Ernstfall?

Nein, ganz und gar nicht.

Sondern?

Ich bin der Versuch, sich den Ernstfall vom Halse zu halten. Denn mit der Drohung des Ernstfalls können Sie jedem Menschen jeden Blödsinn aufzwingen, jede Ideologie und Glaubensüberzeugung nachplappern lassen.

 

Was wäre der Ernstfall?

Das Bekenntnis zu irgendeiner wortgläubigen Erfüllung, sei es ein Prophetentext, sei es eine Philosophie. Der Ernstfall wäre, wenn man gezwungen wäre, jederzeit mit dem Grundgesetz unterm Arm herumzulaufen.

Würden Sie gern unter einer Diktatur der Kunst leben?

Auf gar keinen Fall!

Wie wäre es mit Revolution?

Das käme sehr darauf an, was die Voraussetzung wäre. Man kann eine Revolution ja nicht machen, das ist ein Ereignis, das sich ergibt. Die Vorstellung, dass man sich hinstellt und Revolution macht, ist natürlich Blödsinn. Das sehen Sie ja jetzt in Arabien. Auch wenn alte Strukturen aufgebrochen werden, braucht es noch sehr viel zur Revolution.

Woran denkt man, wenn man stundenlang neben Beuys auf dem Kopf steht?

An den Text, den man sagen wollte und die Gedanken, die man formulieren muss.

Wen hätten Sie lieber als Komplize: Harald Schmidt, Fritz J. Raddatz oder Jonathan Meese?

Meese, weil der den nötigen Pfiff hat und die Drolligkeit und die Phantasie und die Imagination und die Stimmungswechsel.

Steuern hinterziehen: lieber mit Schmidt oder Meese?

Mit keinem, denn Rot ist die Voraussetzung für Grün. Wenn ich bei Rot über die Ampel fahre, kann ich mich nie darauf verlassen, dass ich bei Grün diese Möglichkeit hätte. Man muss die selbst gesetzte Logik der Sache akzeptieren. Es ist kein Ausdruck von Freiheit, wenn ich bei Rot über die Ampel fahre, es ist ein Ausdruck von Freiheit, wenn ich bei Rot stehe und weiß, dass damit die Bedingung für Grün gegeben ist. Nur wenn die Leute bei Rot stehen, ist die Bedingung für Grün gegeben!

Schon mal eine Ohrfeige bekommen?

Nein.

 

Tragen Sie manchmal kurze Hosen?

Na selbstverständlich!

In Ihrem Alter ist das nicht mehr so selbstverständlich.

Wieso? Es gibt gerade ein großes Portrait von mir in der Süddeutschen Zeitung. Mit kurzer Hose.

Was unterscheidet Sie von einem Schwätzer?

Dass die Leute, die das behaupten, keine Ahnung vom Griechischen haben. Im Griechischen heißt Bazon nämlich nicht Schwätzer, sondern: reden, in der Absicht etwas Bestimmtes zu erreichen. So wie ein Rechtsanwalt redet um ein bestimmtes Ziel zu erreichen, jemanden frei zu bekommen, ein Ziel durchzusetzen, das nannte man bazo. Die Art des Einlassens auf andere, den Menschen in ihrer Erfüllung der Lebensverpflichtungen hilfreich zu sein und ihnen zu dienen.

Welche Arroganz ist größer, die der Schönen oder die der Intellektuellen?

Da habe ich nur das Erstere erlebt. Die Arroganz der Schönen ist geradezu unglaublich. Das sehen sie bei jeder Bierwerbung, wo junge Leute in ihrer Schönheit ausgestellt werden und dazu auch noch Bier trinken.

Mit Thomas Mann gefragt: War nicht das ganze Leben peinlich?

Nein, peinlich ist ja nur, was man als individuellen Verstoß gegen die allgemeinen Regeln erlebt. Da das inzwischen alle erleben, kann es nicht mehr peinlich sein.

Was war Ihnen zuletzt peinlich?

Vorgestern beim Frühstück in einem Fünf-Sterne-Hotel. Wenn die Leute ihre Füße auf die Tische legen und mit den Gabeln und Messern in den Händen herumfuchteln während sie miteinander sprechen, so dass die anderen eigentlich befürchten müssten, sie würden angegriffen. Das ist eine vollkommene Verrohung und Aufgabe aller Gesittung. Leute ohne jede Art von Bildung, ohne jede Art von Tischzucht, ohne jede Art von Selbsterziehung und das in einem Fünf-Sterne-Hotel.

 

Früher wäre das typisch für eine Hafenkneipe gewesen, Heute muss man sagen, dass diese Leute in den Hotels die Freiheit hätten, es anders zu machen, aber sie sind verkommener als die unterste Unterschicht. Der Fisch stinkt vom Kopfe, alle unsere Eliten sind stinkende Fische. Mit Brötchen werfen, mit Händen nach gebratenen Speckstöckchen fassen und sie sich auf den Teller legen. Das sind alles Sachen, die den Leuten in 800 Jahren mühselig aberzogen wurden, schon aus hygienischen Gründen, aber das ist alles verlorengegangen.

Woran liegt‘s?

An der kapitalistischen Selbstverwirklichungsidiotie!

Sind Sie ein Menschenfreund?

Ja.

Erzählen Sie mal ihren besten Witz.

Wenn alle Stricke reißen, hänge ich mich auf.

Was nehmen Sie mit ins Grab?

Ich würde in erster Linie die Verpflichtung auf ein gutes Gedenken mitnehmen.

Haben Sie nicht Angst davor, dass alles vergebens sein wird, dass wenn Sie nicht mehr sind, schon bald keiner mehr Ihrer gedenken wird?

Das ist keine Angst sondern eine realistische Einschätzung der Situation.

Wie finden Sie das?

Dagegen ist leider nichts zu machen, man kann nur hoffen.

Sind Sie gerne Bazon Brock.

Ja!

Zur Person

Bazon Brock, eigentlich Jürgen Johannes Hermann Brock, geboren am 02.06.1936 in Stolp (Pommern). Den Namen Bazon (Schwätzer) verlieh ihm sein damaliger Lateinlehrer. Am Ende des Zweiten Weltkriegs flüchtete er mit seiner Familie nach Schleswig-Holstein, dort lebte er in einfachen Verhältnissen. Er studierte Germanistik, Philosophie und Politikwissenschaften in Zürich, Hamburg und Frankfurt/M. Zwischen 1965 und 1976 lehrte er als Professor an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg im Fach Ästhetik. Von 1977 bis 1980 an der Hochschule für Angewandte Kunst in Wien. Danach bis zu seiner Pensionierung an der Bergischen Universität Wuppertal. Brock arbeitete u.a mit Friedensreich Hundertwasser und Joseph Beuys zusammen. Mit Peter Sloterdyk gründete er 2012 in Karlsruhe den Studiengang des „professionalisierten Bürgers“. In seiner „Berliner Denkerei“ lehrt er den Umgang mit unlösbaren Problemen.

Liebesschwüre auf dem Herrenklo

 

rot

Liebesschwüre sind was Schönes. Man flüstert sie in ein geliebtes Ohr, man schreit sie am Bahnhof dem wegfahrenden Zug hinterher, manchmal sprüht man sie an eine Hauswand, manchmal lallt man sie auch nach dem zehnten Bier. Na gut, manchmal sind sie auch nicht schön. Manchmal sind sie verzweifelt, oder wegen des unvermeidlichen Pathos etwas peinlich und vielleicht sind sie sogar aus philosophischer Sicht ein Widerspruch in sich, weil man Liebe schlecht schwören kann, aber was soll’s.

Die überwältigende Mehrheit aller Liebesschwüre hat allerdings eine Sache gemeinsam: Der/die Schwörende geht davon aus, dass die/der Angeschwörte den Schwur irgendwie mitbekommt. Denn nur ein vernommener Schwur ist ein sinnvoller Schwur. Daraus ergibt sich die Frage, was der Schwur auf dem Foto unten für eine Geschichte hat. Denn jenes „Steffi ich liebe Dich“ wurde an die orangefarbene Wand der Herrentoilette in der Stadtbücherei geschrieben.

Wie soll Steffi also von der Liebe des unbekannten Schreibers erfahren? Dazu bieten sich mehrere mögliche Antworten an.

Schüchtern und dumm: Der Schreiber war so schüchtern, dass er sich nur auf einem sehr stillen und sicheren Ort traute, jener Steffi die Liebe zu schwören, auch wenn sie das aller Wahrscheinlichkeit ein Leben lang nicht lesen wird. Und sich womöglich einem anderen, mutigeren oder auch klügeren Mann hingibt und zahlreiche Kinder mit ihm haben wird, während die Schrift im Klo längst verblasst ist.

Schüchtern und klug: Steffi ist Putzfrau in der Stadtbücherei und der Schreiber vielleicht ein scheuer, aber schlauer Bücherliebhaber, der Steffi zwar nicht wagt anzusprechen, aber, ihre Tätigkeit studierend, weiß, dass sie jeden Tag das Klo putzt. Wenn sie sich also gerade über die Kloschüssel beugt und für Sauberkeit sorgt, sieht sie just die frohe Liebesbotschaft und freut sich sehr über die Worte des Unbekannten. Bleibt, wie bei allen Liebesschwüren, die Frage, wie die/der Verehrte darauf reagieren soll.

Schwul: Steffi ist gar keine Frau. Steffi ist vielleicht Stefan und der/die/das Verliebte hat sein Sprüchlein am richtigen stillen Ort angebracht. Ohne schwulenfeindlich zu sein, sei die These gewagt, dass ein Mann, der Steffi genannt wird, möglicherweise auf Männer steht und der Schreiber natürlich auch.

Verzweifelt: Steffi hat den Schreiber verlassen, er flüchtete sich weinend auf die Toilette und weil niemand seine Verzweiflung hört, kritzelt er seine Liebesbotschaft an Steffi an die nächstbeste Wand.

Glücklich: Steffi liebt den Schreiber, er hat es gerade erfahren. Er musste daraufhin dringend aufs Klo, ist total euphorisch, und weil niemand seine Euphorie hört, kritzelt er seine Liebesbotschaft an Steffi an die nächstbeste Wand.

In diesem Sinne: Viel Glück, Unbekannter + Steffi.

 

 

Das gebildete Deutschland schafft sich nicht ab. Es schottet sich ab.

In der WELT beklagt Reinhard Mohr, dass sich die gebildeten Schichten Deutschlands abschaffen. Als Beleg dafür nennt er

Neuköln, wo 40% der Schüler keinen Bildungsabschluss haben. Dass dieser Berliner Stadtteil nicht repräsentativ für Deutschland steht, ist klar, aber man kann ihn immer wieder als Menetekel anführen. Die Wahrheit  sieht anders aus. Das gebildete Deutschland schafft sich nicht ab. Es schottet sich ab. Die gebildete Elite schickt ihre Kinder auf andere Schulen als die Arbeitslosen in Neuköln und die ihre Kinder werden in den besten Unis studieren und, wie ihre Eltern auch, zur Elite gehören. Verdummen wird eher die Masse und das zunehmende Heer von mangelquailifizierten Menschen, für die es in einer technisierten Arbeitswelt immer weniger passabel bezahlte Arbeitsplätze gibt. Dieses Heer von Proletariern ist aber nicht die Bevölkerungsgruppe um die sich Mohr sorgt. Was er ausspricht, ist in Wahrheit die larmoyante Sorge des Bildunsgbürgers, der zum einen beklagt, dass immer weniger Menschen Goethe zitieren können und zugleich die ökonomischen Zwänge der Volksverblödungsfabriken ala RTL und BILD rechtfertigt.